>> Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk <<
Neuss, den 17.10.2009

Statement >> Pflegesituation und der (politische) Handlungsbedarf! <<

In den letzten Tagen habe ich aufgrund einiger Medienberichte zur Pflege und zu meiner Person zahlreiche Zuschriften und Telefonanrufe erhalten, mit denen Unterstützung signalisiert wurde!

In einer (anonymisierten) Zuschrift wurde am 17.10.2009 u.a. ausgeführt:

Ich bin 58 Jahre und habe mit 45 Jahren das Examen der Altenpflege und anschließend u.a. noch die Heim -und Pflegedienstleiterausbildung absolviert. …
Ich möchte einfach wissen: Hat sich nach 10 Jahren Ausstieg aus der Pflege etwas verbessert? Das Gegenteil erlebe ich. Die Aussage einer Stationsleitung hat mich schockiert: "Sollte ich einmal im Alter in ein Pflegeheim kommen, erschieße ich mich". Nach meiner Einschätzung ist zu 90% der ständige Personalmangel der Grund für die teilweise schlechten Zustände in den Pflegeheimen. Das Schlimme daran ist, dass sich trotz aller Diskussionen (auch im Fernsehen usw.) nichts ändert!
Ich wünsche Ihnen und Ihrem Team weiterhin viel Kraft und Ausdauer im Kampf gegen die Pflegemissstände. Ich werde dies auch in meiner praktischen Aushilfsarbeit tun.

Mit freundlichen Grüßen
NN

Antwort vom 17.10.2009:

Sehr geehrter Herr…,

ich verstehe meine Arbeit vereinfacht ausgedrückt als Lobby für pflegebedürftige Menschen. Dabei möchte ich die Arbeit der Angehörigen und Pflegekräfte stärken helfen:
http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/netzwerk.php
.

Mein Engagement beruht u.a. auf der Tatsache, dass sich die verschiedenen Pflegesysteme (in den Krankenhäusern und sonstigen Pflegeeinrichtungen) zu personell notleidenden Angeboten unseres sozialen Netzes entwickelt haben. Darauf mache ich seit Jahren immer wieder aufmerksam.

Die Politik hat insoweit nie entschieden genug für diese Bereiche Einsatz gezeigt. Man hat so manche Themen gerne geschoben und folglich nicht zeitgerecht gehandelt.Die Ökonomisierung stand zu oft im Mittelpunkt der Erwägungen. Reformansätze wurden zum Teil in völlig falsche Richtungen gelenkt.

Nun türmen sich angesichts der demografischen Entwicklung und sonstiger Gegebenheiten (schnell wachsende Zahl dementiell erkrankter Menschen) die Probleme auf. Ein Bruchteil der Mittel, die man anhaltend den Banken zukommen lässt, würden helfen, überall menschenwürdige Pflegebedingungen zu schaffen!

Mein Einsatz besteht vornehmlich darin mitzuhelfen, die bestehenden Unzulänglichkeiten und Reformnotwendigkeiten aufzuzeigen. Dies sollte nach meinen Vorstellungen in sachlicher Form und argumentativ geschehen. Polemik und Angstschürerei (wie das gerne einzelne sog. Pflegeexperten mit Showallüren machen), möglichst anhand von Skandalberichten und diese in entsprechenden Talkshows aufbereitet, halte ich für kontraproduktiv, jedenfalls solange, wie nicht auch ernsthaft und konstruktiv über vernünftige und machbare Alternativen diskutiert wird.

Aber an weniger skandalträchtigen Botschaften zu den Pflege-Reformnotwendigkeiten, von Angehörigen, Pflegekräften und Lobbyisten vorgetragen, sind die Medien eher nicht interessiert. Sie wollen über die Fixierung mit Todesfolge, über Durchliegegeschwüre usw. berichten und möglichst entsprechende Bilder liefern. Dann kann man schnell auch den Ausdruck "Pflegemafia" nachschieben.

Natürlich gibt es Pflegemissstände. Klar ist auch, dass niemand ins Heim will. Aber wir müssen insoweit in Kauf nehmen, dass durch die vielfältigen Veränderungen in der Gesellschaft ("Verwerfungen") für viele Menschen kaum andere Lösungen als Heimunterbringungen infrage kommen (werden). Auch die viel diskutierten anderen Wohnformen können nicht entscheidend helfen. "Ambulant vor stationär" muss zwar – vor allem durch Stärkung der Angehörigenarbeit - gefördert werden, aber damit werden die stationären Einrichtungen nicht etwa entbehrlich.

Dass eine Heimunterbringung nicht gleich dem geliebten Zuhause sein kann, kann nicht in Abrede gestellt werden. Das kann man aber zunächst nicht den Einrichtungen vorwerfen, sondern das sind einfach Folgen der veränderten gesellschaftlichen Bedingungen. Es wird übrigens noch schlimmer kommen, weil die Familien immer kleiner werden ("zerbröseln") und alle ihren jeweiligen beruflichen Betätigungen nachgehen müssen (zum Lebensunterhalt). Wer soll denn da noch in der Familie pflegen?

Angesichts solcher Erwägungen ist es geboten, alles zu tun, damit sich die Pflege-Rahmenbedingungen jetzt und überall schnellstmöglich ändern. Insoweit müssen die politisch Verantwortlichen unter "Druck" gesetzt werden.

In diesem Sinne arbeiten wir von und brauchen, um Gehör zu finden, kraftvolle Unterstützung. Nur wer unsere und ähnliche Aktivitäten unterstützt, kann zu Veränderungen beitragen. Das alleinige Bejammern der Zustände muss m.E. aufhören. Stattdessen ist Einsatz für zielgerichtete Veränderungen – vor allem im personellen Bereich - gefordert - sachlich und argumentativ vorgetragen.

Siehe u.a. unser Pflegetreff-Vorhaben für Anfang 2010:
Welche Pflege wollen wir (uns leisten)? - Pflegetreff 2010

Der Knackpunkt für die vielfach beklagten Pflegesituationen ist der Personalnotstand. Insoweit muss sich gravierend etwas ändern. Deshalb soll auch dieser Punkt im Zentrum unserer Bemühungen stehen. Aktuell habe ich an das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales geschrieben. Den Brief finden Sie im Forum unter der Titelung „1.000 zusätzliche Schüler in der Altenpflegeausbildung

Siehe auch das Statement vom 12.07.2009 mit der Titelung „Die Pflegesysteme sind reformbedürftig: Neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff mit leistungsrechtlichen Folgerungen, deutliche Personalausweitungen und eine angemessene Stärkung der Angehörigenrechte sind überfällig!“

Für die gebotenen deutlichen Aufstockungen der Personalbestände brauchen wir bundeseinheitliche Personalbemessungssysteme. Personalausstattungen nach Kassenlage darf es nicht weiter geben!

Viele Grüße
Werner Schell
http://www.wernerschell.de

Dieses Statement ist als pdf-Datei hier abrufbar