»Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk«

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Briefzustellung und Pressemitteilung

Betr.: Patientenverfügung – Beratungen über vorliegende Gesetzentwürfe

Bezug: Bundestagsdrucksachen zum Thema

16/8442 - Gesetzentwurf mehrerer Abgeordneter: Änderung des Betreuungsrechts

http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/084/1608442.pdf

16/11360 - Gesetzentwurf mehrerer Abgeordneter: Patientenverfügungsgesetz
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/113/1611360.pdf

16/11493 - Gesetzentwurf mehrerer Abgeordneter: Patientenverfügungsverbindlichkeitsgesetz
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/114/1611493.pdf

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Deutsche Bundestag hat mit den Beratungen über die o.a. Gesetzesinitiativen begonnen und nach kontroversen Diskussionen die Angelegenheit zur weiteren Meinungsbildung verschoben. Es sollen u.a. Experten zu Wort kommen.

Ich melde mich daher als Vertreter von „Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk“ zu Wort und bitte um weitere Beteiligung bei den anstehenden Beratungen.

Zunächst ergibt sich in Kürze folgende Stellungnahme:

Grundsätzlich fällt es in die alleinige Kompetenz der BürgerInnen, darüber zu befinden, welche Behandlungen und Pflege sie zukünftig wollen oder gerade nicht. Dies ergibt sich aus der verfassungsrechtlich garantierten Werteordnung (Art. 1 und 2 Grundgesetz). Diese Werteordnung hat auch der Gesetzgeber zu beachten.

Daher halte ich alle Vorschläge, die darauf abzielen (aus welchen Gründen auch immer), das Entscheidungsrecht der BürgerInnen in Patientenverfügungen einzuschränken, für nicht zulässig, sogar für verfassungsrechtlich problematisch. Auch die Schutzfunktion des Staates lässt es nicht zu, die Autonomie der Menschen einzuschränken und ihnen bürokratische Hürden aufzuerlegen (notarielle Beurkundungen mit zwingender ärztlicher Beratung), mit denen sie im alltäglichen Leben nicht zurecht kommen. Es muss nach hiesiger Auffassung außer Betracht bleiben, aus den Anforderungen an die Erstellung einer Patientenverfügung ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für andere Berufe zu machen.

Deshalb sind die vorliegenden Gesetzentwürfe, insbesondere der Bosbach-Entwurf, abzulehnen. Sie dürfen nicht Gesetz werden! Selbst der Generalsekretär der CDU, Profalla meint, dass es besser sei, kein Gesetz zu beschließen, als auf der Grundlage der vorliegenden Entwürfe eine Entscheidung zu treffen.

Dieser Meinung ist auch die Bundesärztekammer. In einer Stellungnahme vom 21.01.2009 hat sie u.a. ausgeführt:

„Patientenverfügungen sind verbindlich, wenn sie eindeutig formuliert sind. Der Arzt ist daran gebunden, auch wenn er anderer Meinung ist. Das gilt schon heute, auch ohne Gesetz. Wir brauchen deshalb kein detailliertes Gesetz zur Verbindlichkeit von Patientenverfügungen. Wenn die Politik nun trotzdem den Versuch unternimmt, die bestehende Rechtslage mit komplizierten Formulierungen zu überfrachten, wird mehr Verwirrung gestiftet als Klarheit geschaffen.“

Die ärztliche Einschätzung ergibt sich im Übrigen aus folgenden Texten:

Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung vom 07.05.2004

Regelung der Patientenverfügung im Betreuungsrecht vom 21.07.2005

Dieser Auffassung ist aus der Sicht der Patienten bzw. hilfe- und pflegebedürftigen Menschen zuzustimmen. Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof in zahlreichen Entscheidungen die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen auf der Basis des gegebenen Rechts bekräftigt.

Woran ist mangelt ist die noch unvollkommene Beachtung der bestehenden Verbindlichkeit von Patientenverfügungen durch die Ärzteschaft. Ca. 60% der Ärzte haben Probleme mit der korrekten Anwendung der Rechtsregeln im Zusammenhang mit der Patientenautonomie am Lebensende. Diesen Missstand kann aber nicht allein mit einem neuen Gesetz beheben. Insoweit bedarf es einer Informationskampagne, vor allem durch die ärzt­lichen Standesorganisationen einschließlich der Ahndung von Pflichtwidrigkeiten.

Sollte sich der Deutsche Bundestag trotz solcher eindeutiger Einschätzungen zu einer gesetzlichen Vorschrift entschließen, wäre sie darauf zu beschränken zu regeln, dass Patientenverfügungen, ob mündlich oder schriftlich erteilt, Verbindlichkeit entfalten und von allen Beteiligten zu beachten sind. Aus der Patienten- und Selbsthilfesicht muss ein eventuelles Gesetz zur Patientenverfügung die uneingeschränkte Patientenautonomie in den Mittelpunkt stellen. Alles andere (z.B. unnütze und bevormundende formelle Erfordernisse oder gar eine Beurkundungspflicht), ist abzulehnen. Es sollte auch vermieden werden, aus den vorliegenden Gesetzentwürfen, nur um Aktionismus bzw. Handlungsfähigkeit zu bekunden, ein Sammelsurium an zusammen gestückelten Textvorschlägen zu machen - nach dem Motto: Jede Gruppe / Partei kann sich in dem Kompromisspapier wieder finden.

Mit freundlichen Grüßen

Werner Schell, Dozent für Pflegerecht

Leitgedanke:
...dem Leben nicht mehr Jahre, sondern den Jahren mehr Leben schenken.
Der Menschlichkeit nicht mehr Pflege geben, sondern der Pflege mehr Menschlichkeit.